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Lüften bei Wasserstoff-Freisetzung in Tiefgaragen

Neueste Untersuchungen der Forschungsstelle für Brandschutztechnik am Karlsruher Institut für Technologie zeigen: Wird Wasserstoff in einer Tiefgarage aus einem wasserstoffbetriebenen Fahrzeug freigesetzt, strömt dieser unter baulich günstigen Bedingungen schnell aus dem Bauwerk. Eine Überdruckbelüftung kann diesen Prozess bei der untersuchten speziellen Situation kaum mehr beschleunigen, würde aber unter diesen gegebenen Bedingungen wahrscheinlich auch keine Gefährdung darstellen, da durch die Überdruckbelüftung keine zuvor unkritischen Bereiche mit zündfähigen Wasserstoff-Luftgemischen geflutet werden.

Ventilation bei Wasserstoff-Freisetzung ohne Brand?


Viele Feuerwehren arbeiten derzeit an der Weiterentwicklung von Einsatzregeln für Ereignisse mit wasserstoffbetriebenen Fahrzeugen, worüber wir kontinuierlich in unserem Magazin berichtet haben. Dabei kam die Frage auf, ob die taktische Ventilation bei der Freisetzung von Wasserstoff ohne Brand in einer Tiefgarage sinnvoll ist oder gar zu einer Erhöhung der Explosionsgefahren führen kann.

Kurzfassung des Fachvortrags vom Kommandanten-Forum 2024

Die Forschungsstelle für Brandschutztechnik am Karlsruher Institut für Technologie untersucht im Rahmen der Brandschutzforschung der Bundesländer (D) im Auftrag des Ausschusses für Feuerwehrangelegenheiten, Katastrophenschutz und zivile Verteidigung diese Fragestellung. Beim Kommandanten-Forum 2024 der International Fire Academy präsentierte Dietmar Schelb die ersten Ergebnisse seiner Strömungssimulationen mit dem CFD-Programm Ansys CFX (CFD steht für Computational Fluid Dynamics). Wir haben mit Dietmar Schelb gemeinsam die folgende Kurzfassung erstellt.

Untersuchtes Szenario mit baulich günstigen Bedingungen

Für die CFD-Simulation wurde angenommen, dass 6 kg Wasserstoff innerhalb von 60 s diffus aus einem Fahrzeugdruckbehälter austreten, die Decke der Tiefgarage eben und ohne Unterzüge versehen ist und das Bauwerk eine gegenüberliegende Ein- und Ausfahrt hat, an denen das Wasserstoff-Luftgemisch ungehindert ins Freie strömen kann.

Bereits ohne Lüfter schnelles Abströmen des Wasserstoff-Luftgemisches


Diagramm 1 zeigt zum Zeitpunkt unmittelbar nach Ende des Ausströmens aus dem Druckbehälter einen Längsschnitt mit der Konzentration von Wasserstoff in Luft. Wasserstoff strömt unter dem Fahrzeug aus und das leichte Wasserstoff-Luftgemisch strömt nach rechts und links an der Decke entlang durch die Ein- beziehungsweise Ausfahrt ins Freie (schwarze Pfeile). Ein «Molar Fraction»-Wert von 0,04 bedeutet 4 % Wasserstoff in der Luft. Das ist die untere Explosionsgrenze. Die Skala ist so gewählt, dass Gemische von knapp unterhalb der unteren Explosionsgrenze bis oberhalb der oberen Explosionsgrenze rot dargestellt sind.

In Diagramm 2 zeigt die blaue Gerade, dass die 6 kg Wasserstoff nach 60 s freigesetzt sind. Die orangene Kurve zeigt, dass nach diesen 60 s knapp die Hälfte des aus dem Druckbehälter freigesetzten Wasserstoffes ins Freie abgeströmt ist. Nach weiteren 60 s sind noch 20 % und nach insgesamt 180 s gerade noch 15 % der ausgetretenen Wasserstoffmenge (weniger als ein Kilogramm) in der Tiefgarage in einem geringen Mischungsverhältnis (unterhalb der Zündgrenze) verteilt.

Lüfter zeigt nur geringfügige Wirkung


In einer zweiten CFD-Simulation wurde die Wirkung eines Lüfters untersucht, der 60 s nach Beginn des Ausströmens (d. h. unmittelbar nach Ende des Ausströmens aus dem Druckbehälter) für 60 s mit einem Winkel von 20 Grad zur Decke hin Luft einbläst. Dadurch wird die in der Tiefgarage vorhandene Wasserstoffmenge jedoch nur geringfügig reduziert.

In Diagramm 3 zeigt die rote Kurve den Verlauf der Gesamtmenge der Wasserstoff-Konzentration in der Tiefgarage und der rote Punkt, welche Masse Wasserstoff nach 60 s Lüften noch in der Tiefgarage verteilt ist.

Früher Lüftereinsatz eher unrealistisch

Ursprünglich war die Simulation daraufhin ausgelegt, dass erst nach einer realistischen Anrück- und Rüstzeit der Feuerwehr von 10 bis 15 min nach dem Ausströmen des Wasserstoffs aus dem Druckbehälter die Überdruckbelüftung startet. Allerdings zeigte sich in der Simulation, dass nach 10 min praktisch der gesamte Wasserstoff auch ohne Lüfter bereits ins Freie abgeströmt war. Um die Wirkung der Überdruckbelüftung zu untersuchen, musste die Überdrucklüftung daher zu einem einsatztaktisch unrealistisch frühen Zeitpunkt gestartet werden.

Noch viele Fragen offen


Die durchgeführten CFD-Simulationen geben natürlich nicht reale Einsatzsituationen wieder. Ziel war, grundsätzliche Zusammenhänge zu erkennen. Aus Sicht der Feuerwehren könnte daraus die Schlussfolgerung gezogen werden, dass eine Überdruckbelüftung wenig bringt, da das brennbare Wasserstoff-Luftgemisch ohnehin sehr schnell abströmt. Dies ist aber nur der Fall, wenn an der höchsten Stelle der Tiefgarage eine Abluftöffnung ins Freie vorhanden ist. Im nächsten Schritt, so Dietmar Schelb, werde nun untersucht, wie sich eine Überdruckbelüftung auf Wasserstoff-Luftgemische bei Decken mit Unterzügen verhält, da sich dort leichte Gasgemische ansammeln können.

Lüftereinsatz erhöht Explosionsgefahr wohl nicht

Dass die Explosionsgefahr durch eine Überdruckbelüftung seitens der Feuerwehr bei diesen konkreten baulichen Gegebenheiten, unter denen der Wasserstoff schnell ins Freie ausströmen kann, erhöht werden könnte, hält Dietmar Schelb beim aktuellen Wissensstand für unwahrscheinlich. Eine ganz andere Frage sei, ob Feuerwehren überhaupt an der Einsatzstelle eintreffen und überdruckbelüften können, bevor der Wasserstoff aus dem Bauwerk ausgeströmt ist.

Keine Konsequenzen für taktische Ventilation im Brandfall

Um Missverständnisse zu vermeiden: Die CFD-Simulationen, über die hier berichtet wird, beziehen sich allein auf die Freisetzung von Wasserstoff ohne Brand. Im Brandfall würde vorhandener Wasserstoff verbrennen und es kann jedenfalls die übliche taktische Ventilation zur Abfuhr von Hitze und Rauch eingesetzt werden.

Update folgt


Wir werden weiter über einsatzrelevante Erkenntnisse aus der aktuellen Wasserstoff-Sicherheitsforschung berichten. Für Detailinformationen zu den aktuellen Forschungsergebnissen steht Dietmar Schelb gerne zur Verfügung, insbesondere auch für die Kollegen des Vorbeugenden Brandschutzes.

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...über Einsätze, Lehrunterlagen, Technik, bewährte Einsatzmittel, Gefahren und andere feuerwehrrelevante Themen in unseren zahlreichen Magazinbeiträgen.