Gegen Rauch, Hitze und Stichflammen können sich Feuerwehr-Einsatzkräfte schützen, nicht aber gegen die Druckwelle von Explosionen von Wasserstoff-Fahrzeugen in Tunneln. Deshalb gilt es, sicheren Abstand zu halten. Wie aber sollen dann Menschen gerettet und Brände wirksam bekämpft werden? Auf diese Frage gibt es noch keine befriedigende Antwort – obwohl immer mehr wasserstoffbetriebene Fahrzeuge zugelassen werden. Deshalb müssen die Feuerwehren jetzt sofort an geeigneten Lösungen arbeiten. Dies ist das wichtigste Ergebnis des europäischen Forschungsprojektes «HyTunnel-CS», in dem die International Fire Academy die Perspektive der Feuerwehren vertreten hat.
Das Projekt «HyTunnel-CS»
In der Abkürzung «HyTunnel-CS» steht «Hy» für Hydrogen bzw. Wasserstoff und «CS» für confined spaces, also Räume mit beschränktem Zugang, wie zum Beispiel Tunnel oder Tiefgaragen.
Ziel dieses Projektes war die Entwicklung von wasserstoffgetriebenen Fahrzeugen, welche in unterirdischen Verkehrsanlagen mit gleichem oder sogar geringerem Risiko betrieben werden können, als dies bei Fahrzeugen mit fossilen Antrieben der Fall ist. Finanziert wird das Projekt von der öffentlich-privaten Partnerschaft «Fuel Cells and Hydrogen Joint Untertaking» (FCH) mit Sitz in Brüssel.
Aufgabe der International Fire Academy war es, gemeinsam mit weiteren Experten aus den Bereichen Feuerwehr und Rettungsdienst erste Empfehlungen aus den aktuellen Forschungsergebnissen abzuleiten, die von insgesamt zwölf renommierten Forschungsstellen aus mehreren europäischen Ländern in den letzten vier Jahren erarbeitet wurden. Eine Frage war hier zum Beispiel, wie gross Wasserstoff-Flammen je nach verwendeter Technologie sein können. Denn die Flammen sind kaum sichtbar. Also müssen Einsatzkräfte wissen, wie weit sich die Stichflammen von einem brennenden Fahrzeug ausbreiten können.
Kaum abschätzbare Risiken
In Simulationen und Experimenten wurde im Projektverlauf gezeigt, dass die Explosion eines Wasserstoff-Tanks herkömmlicher Bauart in Tunneln einen Feuerball erzeugen kann, der sich mit einer Geschwindigkeit von 20 bis 25 Metern pro Sekunde durch die gesamte Röhre fortpflanzt. Der dabei entstehende Druck kann Fahrzeuge meterweit wegschleudern. Im Tunnel befindliche Einsatzkräfte hätten nur geringe Überlebenschancen.
Die Wahrscheinlichkeit einer solchen Explosion wird von vielen Faktoren bestimmt, die sich im Labor recht genau bestimmen lassen. Unter Einsatzbedingungen fehlen jedoch die genauen Daten, z. B. über den tatsächlichen Füllstand und Druck des Wasserstoff-Tanks eines havarierten Fahrzeugs. Damit stellt sich in der Praxis die Frage, ob Einsatzkräfte im Falle eines Wasserstoff-Ereignisses in einem Tunnel oder einer Tiefgarage trotz unkalkulierbarer Explosionsrisiken eindringen sollen.
Sicherere Technologien verfügbar
Aufgabe des Projektes «HyTunnel-CS» war auch, sicherere Technologien zu entwickeln und zu untersuchen. Dabei wurde gezeigt, dass Wasserstoff-Tanks für Fahrzeuge so gestaltet werden können, dass der Wasserstoff nicht schlagartig entweicht und ein explosionsfähiges Gas-Luft-Gemisch bildet, sondern durch die Tankwand diffundiert und dabei abbrennt. Ferner wurde gezeigt, dass der Durchmesser der Düse des thermischen Druckentlastungsventils eine entscheidende Rolle spielt. Vereinfacht: Je kleiner der Durchmesser, desto langsamer entweicht der Wasserstoff bei unzulässig hohem Druck. Da sich Wasserstoff ausserordentlich schnell verflüchtigt, wird die Wahrscheinlichkeit einer Explosion durch diese verlangsamte Ausströmung erheblich reduziert. Details zu diesen neuen technologischen Ansätzen finden sich neben vielen weiteren Informationen auf der Projekt-Website.
Probleme vermeiden, die auch die Feuerwehr nicht lösen kann
Aus Sicht der am Projekt beteiligten Feuerwehr-Experten können die Notfallorganisationen Ereignisse mit Wasserstoff-Fahrzeugen herkömmlicher Bauart nicht so effizient und sicher bewältigen wie im Falle von Fahrzeugen, die mit Diesel oder Benzin betrieben werden. Deshalb wird Herstellern und Normgebern empfohlen, die oben skizzierten sichereren Technologien zu nutzen. Sie würden nach heutigem Kenntnisstand die Chancen einer wirksamen Intervention durch die Feuerwehren deutlich erhöhen und die Risiken der Einsatzkräfte auf ein bewältigbares Mass reduzieren. Auf diese Weise liessen sich Probleme vermeiden, die auch die Feuerwehren nicht lösen können.
Entscheidend ist die schnelle Information
Unterschiedliche Fahrzeugtechnologien verlangen vom Einsatzbeginn an unterschiedliche Vorgehensweisen bei der Unfallrettung und Brandbekämpfung. So sollte bei Ereignissen mit Wasserstoff-Fahrzeugen immer mit dem Wind angefahren werden. Das setzt jedoch die Information voraus, dass Wasserstoff involviert ist. Deshalb ist für die Feuerwehren entscheidend, so früh wie möglich alle relevante Informationen zur Antriebsart und zum aktuellen Zustand der betroffenen Fahrzeuge zu erhalten. Idealerweise würden diese Informationen automatisiert so zur Verfügung gestellt, dass die Einsatzleitungen z. B. wissen, ob und wie viele Fahrzeuge mit Wasserstoff-Antrieb sich aktuell in einem Tunnel oder einer Tiefgarage befinden. Deshalb wird Gesetzgebern und Behörden empfohlen, die Voraussetzungen für einen solchen Datenaustausch zu ermöglichen. Mit dessen Standardisierung (ISO 17840) sowie der technischen und organisatorischen Umsetzung beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe des Internationalen Feuerwehrverbandes CTIF, die beim Projekt «HyTunnel-CS» ebenfalls vertreten war.
Bei Notrufannahme nach Wasserstoff fragen
Notrufzentralen, Leitstellen und Betriebszentralen wird empfohlen, zukünftig Notrufende gezielt nach Hinweisen auf Wasserstoff-Antrieb zu fragen. Diese können z. B. Schilder mit dem Symbol «H2» oder Fahrzeugbeschriftungen wie «FUEL CELL», «F-CELL», «FCV» oder «HYDROGEN» sowie sehr laute Pfeifgeräusche sein, die entstehen, wenn der unter hohem Druck stehende Wasserstoff aus dem Tank abgeblasen wird.
Jetzt mit dem Thema auseinandersetzen!
Da immer mehr wasserstoffbetriebene Fahrzeuge zugelassen werden und praktisch an jedem Ort vorkommen können, sollten sich nunmehr alle Feuerwehren auf «Wasserstoff-Einsätze» vorbereiten. Dafür werden folgende Informationsquellen empfohlen:
Viele offene Fragen sind zu klären
Die meisten Empfehlungen, Sicherheitsregeln und Standardprozeduren beziehen sich allerdings auf Ereignisse mit wasserstoffbetriebenen Fahrzeugen im Freien. Sie geben zum Beispiel an, welche Sicherheitsabstände einzuhalten sind, um sich vor Explosions-Druckwellen zu schützen. Welche Abstände aber sind zum Portal eines Bahntunnels einzuhalten, in dem ein wasserstoffbetriebener Zug brennt? Oder: Ist es sinnvoll, eine Tiefgarage, in der Wasserstoff unentzündet aus einem Fahrzeugtank ausgetreten ist, mit Überdruck zu belüften? Damit stellt sich den Feuerwehren ganz allgemein die Aufgabe, die umfangreichen und teils völlig neuen Erkenntnisse aus dem Projekt «HyTunnel-CS» wissenschaftlich fundiert, aber dennoch praxistauglich in einfache Faustformeln umzusetzen. Hier sind weniger die einzelnen Feuerwehren als vielmehr Aufsichtsbehörden, Schulen, Fachkommissionen und ähnliche Gremien gefragt.
Auch ethische Grundsatzfragen
Aus den Ergebnissen des Projektes «HyTunnel-CS» ergeben sich auch ethische Fragen. So zeigen Fehlerbaum-Analysen definierter Szenarien: Gelingt es der Feuerwehr, Brände von wasserstoffbetriebenen Fahrzeugen schnell zu löschen, können sie Explosionen verhindern und so unter Umständen Menschenleben retten. Falls der Brand jedoch nicht genügend schnell gelöscht wird und die Sicherheitseinrichtungen herkömmlicher Wasserstoff-Tanksysteme versagen, könnte dies für die Einsatzkräfte tödliche Konsequenzen haben. Also stellen sich Fragen wie:
- Dürfen Einsatzkräfte in explosionsgefährdeten Bereichen eingesetzt werden?
- Wenn ja: Wie und unter welchen Bedingungen?
- Wenn nein: Wie ist zu vertreten, dass Menschen dann nicht gerettet werden, nur weil eine Explosion möglich war?
Je nach deren Selbstverständnis und Kultur geben die Feuerwehren darauf sehr unterschiedliche Antworten, was auf einen grossen Diskussionsbedarf schliessen lässt. Empfohlen wird, solche Grundsatzfragen «in aller Ruhe zu klären» und nicht erst dann, wenn im Einsatz binnen Sekunden Entscheidungen zu treffen sind.
Betreiber und Versicherer sollten Risiken analysieren
Betreibern von Tiefgaragen, Tunneln und ähnlichen Bauwerken wird empfohlen, die Risiken zu analysieren, die sich aus dem Betrieb von Wasserstoff-Fahrzeugen für ihre Anlagen neu ergeben. Nach aktuellem Wissensstand können diese unterschiedlich gross sein, weil sie z. B. von Grösse, Struktur, Belüftung, Zweck und Fahrzeugfrequenz abhängen. Erwogen werden sollte, die Anlagen eventuell nur für Wasserstoff-Fahrzeuge ohne Explosionsrisiko freizugeben. Sinngemäss gleiches gilt auch für Fahrzeuge mit z. B. Erdgasantrieb.
Eile geboten
Feuerwehren haben noch immer gelernt, mit neuartigen Risiken umzugehen. Man denke als jüngstes Beispiel an Elektrofahrzeuge, die anfangs ebenfalls für grosse Unsicherheit unter den Feuerwehren sorgten. Im Fall der Wasserstoff-Technologie ist jedoch grosse Eile geboten, weil das farblose, ungiftige und beim Verbrennen nur Wasser hinterlassende Gas als einer der wichtigsten technologischen Hoffnungsträger gilt und deshalb politisch gewollt sehr schnell allgemeine Verbreitung finden dürfte; nicht nur in Strassen- und Schienenfahrzeugen, sondern bald auch in Flugzeugen und Schiffen nebst den zugehörigen Produktionsstätten, Transportern, Zwischenlagern und Tankstellen, sowie in vielen industriellen Prozessen, als Notstromversorgung für Mobilfunk-Sendemasten und vielleicht sogar als Ersatz für Erdgas.
Deshalb ist die wichtigste Konsequenz aus dem Projekt «HyTunnel-CS», die intensive Auseinandersetzung mit den Risiken dieser Technologie nicht weiter aufzuschieben und jetzt sofort mit der Entwicklung von Lösungen zu beginnen. Dies kann niemand allein leisten. Die Herausforderungen sind so gross, dass sie nur in einem intensiven Austausch innerhalb der Feuerwehren und zwischen diesen und den Entwicklern und Herstellern von Wasserstoff-Technologien bewältigt werden können. Die International Fire Academy wird dazu auf allen ihren Kommunikationskanälen beitragen. So wird zum Beispiel Dietmar Schelb von der Brandschutzforschungsstelle des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) beim 5. Online-Forum der International Fire Academy am 22. September ab 20 Uhr über «Überraschungspotentiale der Wasserstoff-Technologie» referieren.