«So viel wie nötig – so wenig wie möglich.» Das ist einer der wichtigsten Grundsätze für die Einsatzlehren, die das Didaktik- und Entwicklungsteams (DET) der International Fire Academy erarbeitet. Doch wie viel Wissen, Einsatzvorbereitung und spezielle Mittel sind nötig, wenn es um die Bahn, um Tunnel und um Brände geht? Antworten gibt das neue Fachbuch «Brandeinsätze in Bahntunneln». Wir stellen das Buch mit einem Blick hinter die Redaktionskulissen vor.
Ein Fahrplan für den Lösch- und Rettungszug
«Bahn ist anders.» Das war eine der ersten Erkenntnisse, als sich das DET um Mitglieder der Schweizer Bahnfeuerwehren und weitere Bahnexperten verstärkte, um die Einsatzlehre für Bahntunnel zu erarbeiten. Christian Brauner, Leiter des DET, verweist auf die in den Feu-erwehren vertrauten Einsatzabläufe. Aufsitzen und losfahren – so einfach ist das bei einem Lösch- und Rettungszug nicht. Der braucht erst einmal einen Fahrplan, eine Fahrerlaubnis und einen Fahrbefehl. «Natürlich pressiert es dort auch. Aber Blaulicht und Martinshorn helfen nicht, um mal schnell ein freies Gleis zu bekommen.»
Sprache als Hürde für die Zusammenarbeit
Die Unterschiede leuchten ein – doch die Konsequenzen aus den komplexen Abläufen des Bahnbetriebs für Feuerwehreinsätze zu erarbeiten, erforderte viel Zeit und intensive Diskussionen. Noch relativ einfach waren die Abstimmungen von Bezeichnungen – etwa dass Personenzüge heute als Reisezüge bezeichnet werden und Güterwaggons nun bei der Bahn Güterwagen heissen. Kritischer wird es beim Verständnis von Aussage wie: «Der Fahrbetrieb ist eingestellt.» Wer glaubt, dass dies für alle Schienenfahrzeuge gilt, vergisst den LRZ, für den diese Einschränkung nicht gilt. Zu Missverständnissen könnte auch die Frage führen, ob die Fahrleitung abgeschaltet ist – denn dazu müsste sie ausser Betrieb gestellt sein. Für einen Einsatz wird eine Fahrleitung lediglich ausgeschaltet – und damit ist das Thema Erden noch nicht vollständig geklärt.
Dürfen, müssen, können oder sollen?
Wenn es dann um das Verhalten an und auf Bahnanlagen und im Tunnel geht, sind es plötzlich ganz kleine Worte, die grosse Unterschiede machen und damit schwierige Entscheidungen abverlangen. «Ein Aussenstehender kann sich kaum vorstellen, welche Rolle die Modalverben in unseren Sitzungen immer wieder gespielt habe», erläutert Christian Brauner. «Darf man, muss man, kann man, soll man? Es macht natürlich einen grossen Unterschied, ob man sagt: Bevor die Fahrleitung auf beiden Seiten des Tunnels geerdet ist, darf man oder soll man nicht in den Tunnel rein.» Über solche Formulierungen haben die Mitglieder des DET stundenlang diskutiert. Nicht im Sinne von Streiten, sondern in Sinne von Verantwortung. Gerade die kleinen, scheinbar einfachen Merksätze im Fachbuch galt es inhaltlich abzusichern – denn letztlich kann es bei solch feinen Unterschieden um Menschenleben gehen.
Im Zweifel für die Sicherheit
Ein Ziel der Diskussionen waren Standardregeln, die eine klare Orientierung geben. «Dabei war es unsere Lösung, im Zweifelsfall erst einmal ein striktes Nein zu setzen im Sinne von: ,Macht das auf keinen Fall!’ Anschliessend haben wir mögliche Ausnahmen definiert und festgelegt, welche Bedingungen dafür gelten, etwa: ,Wenn Ihr es dennoch macht, dann nur in enger Absprache mit dem Infrastrukturbetreiber bzw. dem Einsatzleiter Bahn’.» Durch die Einbindung der Bahnexperten im Einsatz war es möglich, die Feuerwehrangehörigen von einem umfassenden Bahn-Hintergrundwissen zu entlasten, das sie ansonsten für sichere eigenständige Entscheidungen benötigen würden.
Einen wesentlichen Beitrag in Sachen Sicherheit leisten auch die Sicherheitsregeln für Feuerwehrangehörige. Inhaltlich entsprechen sie den Arbeitsschutzregeln der Bahngesellschaften. Doch zu deren Verständnis wäre die Kenntnis von Fachbegriffen und Betriebszuständen erforderlich. Daher wurden die Regeln für Einsatzkräfte vollständig neu formuliert, so dass Feuerwehrangehörige sie auch ohne spezielles Fachwissen verstehen und umsetzen können.
Ausbildung für äusserst seltene Ereignisse
Einsätze in Bahntunneln sind äusserst selten – auch aufgrund der Vorkehrungen der beteiligten Bahnunternehmen. «Das bedeutet, dass die meisten Feuerwehrangehörigen, die wir ausbilden, das Gelernte wahrscheinlich nicht in der Praxis werden anwenden müssen.» Gleichzeitig gilt für Feuerwehren eine ganz eigene Wahrscheinlichkeit, betont Christian Brauner: «Wenn etwas passiert, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Feuerwehr gerufen wird, gleich 1 – das ist so gut wie sicher!» Diese sehr spezielle Situation hat Konsequenzen für die Arbeit des DET und für die Feuerwehrangehörigen.
Sicherheit durch eine gemeinsam vereinbarte Taktik
«Ein Reisezugbrand in einem Tunnel ist für die Feuerwehren eine ganz besondere Herausforderung. Nicht nur die Einsatzleiter kommen unter ausserordentlich hohen Stress.» Wer dann selbst aus der Situation heraus überlegen müsste wie vorzugehen ist, müsste im Nachhinein mit der Kritik rechnen, dass anders möglicherweise mehr Menschen hätten gerettet werden können. «Die Einsatzlehre soll daher eine Sicherheit geben: Wenn ich mich an diese halte, entspricht dies einer Lehre und einem Vorgehen, dass nicht vor Ort in einer Minute erdacht wurde, sondern das viele Experten miteinander entwickelt haben.»
Das Fachbuch unterstützt die nötige Einsatzplanung
Eine weitere Konsequenz der oben geschilderten Situation ist, dass die Halbwertszeit des Wissens aus der Ausbildung relativ kurz ist und alles, was den Bahnbereich betrifft, kaum in Einsätzen vertieft werden kann. «Nur manche Ausbildungsinhalte können zur Routine werden, weil sie auf andere Einsätze übertragbar und dort nutzbar sind. Dies gilt jedoch nicht für alles.» Das Erfordernis, das Gelernte schnell auffrischen zu können, war ein starkes Motiv für die Publikation des Fachbuchs und der dazugehörigen Merkblätter, die aktuell in Arbeit sind. Gleichzeitig liegt eine gute Einsatzplanung in der Verantwortung der Feuerwehren. Diese unterstützt das Buch ebenfalls, ergänzt um eine Vorlage für Einsatzpläne, die auf der Website www.ifa-swiss.ch im Bereich «Wissen» kostenfrei heruntergeladen werden können.
Von der Einsatzlehre zum Fachbuch
Die Einsatzlehre Bahntunnel, die von der Schweizer Feuerwehrinspektorenkonferenz als verbindliche Ausbildungsgrundlage für alle Feuerwehren in der Schweiz genehmigt wurde, ist ein relativ umfangreiches Dokument mit vielen Nachweisen und detaillierten Begründungen. Das DET hat sich darin auf die Taktik fokussiert und ist beispielsweise wenig auf Details zum Bahnbetrieb eingegangen. Handwerkliche Themen wie das Schlauchmanagement sind nicht Teil des Genehmigungsverfahrens. Doch für die Ausbildung und den Einsatz sind solche Hinweise aus praktischen Erfahrungen wertvoll. Aus diesem Grund unterscheiden sich die Einsatzlehre und das Fachbuch in ihrer Darstellung, den ausgewählten Themen und dem Umfang. Entscheidend aber ist, dass für beide Dokumente das DET verantwortlich zeichnet und die Inhalte mit entsprechendem Engagement gemeinsam erarbeitet wurden.
Start mit einer bewährten Grundstruktur
Für die Entwicklung des Fachbuchs «Brandeinsätze in Bahntunneln» konnte auf die bewährte Struktur des Vorgängerbandes «Brandeinsätze in Strassentunneln» zurückgegriffen werden. Das Kapitel Bauwerkskunde wurde durch ein Kapitel zur Infrastruktur- und Betriebskunde ersetzt. Alles andere – eine Einführung, die Gefahrenlehren, Taktik, Technik und Einsatzvorbereitung – ist geblieben. Die erste Version des Buches entstand auf dieser Grundlage als PowerPoint-Präsentation: Je Doppelseite im Buch wurden auf einer Folie die wesentliche Aussage und die dazugehörigen Abbildungen zusammengefasst. Diesen Entwurf hat das DET in mehreren Sitzungen besprochen, Seite für Seite, Aussage für Aussage, Bild für Bild. «Das war ein sehr aufwändiger Prozess, in dem das Buch praktisch Stück für Stück gewachsen ist.» Als dieser Kern stabil war, entstand das Buchlayout. Christian Brauner formulierte die erste Textfassung direkt passend in das Layout. Danach begann die nächste Sitzungsrunde mit vielen Abstimmungen, u.a. über die oben erwähnten Modalverben dürfen und müssen, können und sollen. «Das Buch ist tatsächlich ein riesiges Gemeinschaftswerk, das in unwahrscheinlich vielen Zwischenstufen über ein Jahr gewachsen ist.»
Fehlersuche auch auf den Fotos
Zeitaufwändig war auch die gesamte Bildredaktion. Viele der Aufnahmen im Buch sind auf den Übungsanlagen in Balsthal entstanden. Eine Herausforderung für die Fotografen, die bei Rauch und Dunkelheit Szenen aus dem Übungsbetrieb dokumentierten – und für die Mitglieder des DET als Buchredaktion, die bei der Auswahl auf jedes Detail achten mussten. Dabei war die fotografische Qualität der Aufnahmen nur ein Kriterium, auch wenn schon allein dies zu erfüllen in der Praxis oft mühsam war. «Die Bilder spielen eine grosse Rolle», unterstreicht Christian Brauner. «Wir sind ja eine Schule. Deswegen ist unser Anspruch, dass auf den Bildern keine Fehler sein dürfen. Und das klingt viel einfacher, als es ist!»
«Wir haben eine Szene fotografiert, in der zwei Einsatzkräfte eine Person aus einem Reisezugwagen retten. Es ist ziemlich anstrengend, jemanden dort herauszuheben, den Höhenunterschied runter zum Schotter zu überwinden und so weiter.» Genau im entscheidenden Moment versagte das Blitzgerät. Also alles nochmals von vorne. Beim zweiten Mal waren die Aufnahmen soweit gut. «Man muss aber wissen, dass es in der Schweiz Arbeits- und Einsatzhandschuhe gibt. Und dass es wichtig ist, die richtigen zu tragen.» Das Bild war also fertig, fotografisch einwandfrei ... doch eine Person trug die falschen Handschuhe. Also: «Zurück auf Feld 1.»
Mehr als 45 000 Bilder aus dem Bahnbereich
Der gesamte Fundus an Bildern aus dem Bahnbereich, der für das Buch erstellt und gesichtet wurde, umfasst rund 45 000 Aufnahmen. Darunter sind viele Serien eines Motivs, bei denen es galt, das jeweils beste auszuwählen. Um die Darstellungen möglichst werbefrei zu halten, mussten an manchem Tunnelportal mehrere Züge abgewartet werden, um eine Lok ohne gesponserte Beschriftung zu erhalten. Auch ein Motiv mit Rettungshaube musste nochmals neu erstellt werden, weil ein auf der Haube gross und breit aufgedruckter Markenname beim Fotografieren nicht auffiel.
Fotos aus Einsätzen, die im Buch reproduziert sind, stammen aus den Anfangszeiten der digitalen Fotografie oder wurden noch analog aufgenommen. Aufgrund der seltenen Ereignisse gelten diese Motive als historische Bilddokumente. «Sie sind technisch nicht optimal, aber inhaltlich von sehr hoher Aussagekraft», erläutert Christian Brauner die Entscheidung, diese Bilder mit in das Buch aufzunehmen.
Bereit für den Versand und Ihre Ausbildung
Nach all den Korrekturläufen und Feinarbeiten an vielen Sätzen war schliesslich das Lektorat ungewöhnlich schwierig. Manche Textstellen waren aufgrund der guten Ideen aller Beteiligten mehr als zehnmal verändert worden. Fehler im Satzbau sind dann kaum mehr vermeidbar. Und mancher Tipp- oder Übernahmefehler von der genutzten Diktierfunktion beim Erstellen der Inhalte wurde erst in einem der letzten Korrekturgänge gefunden – so sind in der gedruckten Fassung nun hoffentlich alle Ausführungen zum «Artenschutz» erfolgreich in «Atemschutz» umgewandelt worden und die «Selbsttretenden» wieder zu harmlosen «Selbstrettenden» geworden.
Pünktlich zum geplanten Kommandanten-Forum Ende März 2020 in Berlin lag uns die gedruckte Ausgabe vor – blieb aber erst einmal in den Kartons, da unsere Fachtagung aufgrund der Corona-Pandemie von den Gesundheitsbehörden untersagt wurde. Die International Fire Academy musste – wie die meisten anderen Organisationen – vor diesem Hintergrund neue Prioritäten setzen. Heute können wir Ihnen mitteilen, dass wir seit 8. Juni unter Beachtung der geltenden Hygiene- und Abstandsregeln wieder Präsenzunterricht anbieten. Sie können ab dann auch das Fachbuch «Brandeinsätze in Bahntunneln» direkt bei uns in Balsthal erwerben oder gerne gleich jetzt mit dem Bestellformular bestellen. In der Schweiz und in Europa erhalten Sie Ihre Fachbuchbestellung versandkostenfrei.