Am 24. Oktober jährt sich der Grossbrand im Gotthard Strassentunnel zum 20. Mal. Nach dem Zusammenstoss zweier Sattelzüge brach durch einen elektrischen Kurzschluss ein Brand in einer der beiden Zugmaschinen aus, der sich rasch auf fünf weitere Lastwagen ausbreitete. Elf Menschen kamen ums Leben. Wir wollten wissen, wie sich die Portalfeuerwehr am Gotthard seit diesem Ereignis verändert hat, und besuchten den stellvertretenden Kommandanten der Schadenwehr Gotthard, Beat Walther, im Werkhof Göschenen.
Organisation, Taktik, Ausbildung, Erfahrung
Aus Sicht von Beat Walther bestehen die wesentlichen Weiterentwicklungen der Schadenwehr Gotthard im Wechsel von einer Miliz- zu einer Berufsfeuerwehr, in der ausgereiften Taktik, der wesentlich umfangreicheren Ausbildung und in der grossen Erfahrung der Einsatzkräfte: Allein im knapp 17 km langen Haupttunnel der Gotthard-Strecke leistet die Schadenwehr Gotthard durchschnittlich sechs Brandeinsätze pro Jahr. Hinzu kommen Brandeinsätze auf der offenen Strecke und in den Tunneln und Galerien der zuführenden Rampen zwischen Amsteg und Göschenen auf der Nordseite beziehungsweise Faido und Airolo auf der Südseite des Gotthardtunnels und auf der offenen Strecke und in den Tunneln und Galerien der Passstrasse, sowie Technische Hilfeleistungen bei Verkehrsunfällen. Alles zusammen ergibt durchschnittlich 70 Brand- und Hilfeleistungseinsätze pro Jahr.
Eine weitere Aufgabe ist die Entpannung: Jährlich schleppt die Schadenwehr Gotthard rund 300 liegengebliebene Fahrzeuge aus dem zweispurigen Gotthard Strassentunnel. Etwa 30 davon sind Lastwagen, deren Bergung, berichtet Beat Walther, «schon mal eineinhalb Stunden dauern kann und uns unter grossen Zeitdruck setzt, weil der Verkehr in dieser Zeit oft vollständig gesperrt werden muss.» Rein statistisch fahren die Angehörigen der Schadenwehr Gotthard also täglich mindestens einen Einsatz und sind deshalb mit Betrieb und Technik ihrer Tunnel bestens vertraut.
Seit 2008: Schadenwehr Gotthard
Bis Ende 2007 wurde der Feuerwehrdienst am Gotthard-Strassentunnel in einer Milizorganisation von Mitarbeitern der Werkhöfe in Göschenen und Airolo geleistet. Für die Ausbildung blieb neben der täglichen Unterhaltsarbeit für die komplexe Tunnelanlage nur wenig Zeit, weshalb auf eine Berufsfeuerwehr umgestellt wurde. Dazu beauftragte des Bundesamt für Strassen (ASTRA) die Logistikbasis der Armee (LBA) mit dem Aufbau der Schadenwehr Gotthard. Zu Beginn zählte die Wehr 36 Mitarbeiter. Mittlerweile sind es 68. Neben dem Feuerwehrdienst einschliesslich Ausbildung und Unterhalt von Fahrzeugen und Ausrüstung ist die Schadenwehr Gotthard auch für Sonderbewilligungen und Fahrstreckenabklärungen für Sonder-Transporte und -Fahrzeuge auf Schweizer Nationalstrassen zuständig.
Alles auf den Prüfstand gestellt
Zu Beginn der 2000er Jahre waren viele Feuerwehren verunsichert, wie bei Tunnelbränden vorzugehen sei. Bereits nach den Bränden im Mont Blanc und im Tauern Strassentunnel war eine vom ASTRA eingesetzte Task Force zum Schluss gekommen, dass die Feuerwehren einen Übungstunnel benötigen, in dem sie sich am konkreten Objekt auf Einsätze in Strassentunneln vorbereiten können. Nach dem Grossbrand im Gotthard Strassentunnel wurden die Bemühungen um eine verbesserte Ausbildung der Tunnelfeuerwehren nochmals verstärkt.
Beat Walther ist überzeugt, dass der heutige Stand der Tunnelbrandbekämpfung ohne das Ereignis vom 24. Oktober 2001 «nicht erreicht worden wäre, und wahrscheinlich würde es auch die Schadenwehr Gotthard nicht in ihrer heutigen Form geben». Denn die Auswertung dieses Einsatzes zeigte, dass sowohl Taktik und Technik als auch die Ausbildung und Organisation der Feuerwehren grundsätzlich auf den Prüfstand gestellt werden mussten. Aus dieser Einsicht entstand eine bis heute sehr enge Zusammenarbeit zwischen der Schadenwehr Gotthard und dem Didaktik- und Entwicklungsteam der International Fire Academy. So ist das gemeinsam erstellte Fallbeispiel «Gotthard 2001» heute noch eine der wichtigsten Lehrunterlagen der International Fire Academy, aus der bereits viele Feuerwehren aus ganz Europa hohen Nutzen ziehen konnten.
Schadenwehr Gotthard als Prüfstein für die Praxis
Aus der engen Zusammenarbeit mit der Schadenwehr Gotthard und vielen anderen Feuerwehren ist die Einsatzlehre Strassentunnel der International Fire Academy entstanden. Für deren Umsetzung und Weiterentwicklung spielt die Schadenwehr Gotthard eine besondere Rolle. Als Feuerwehr mit sehr vielen Tunnelbrandeinsätzen kann sie kontinuierlich rückmelden, ob die Ausbildung zu den Anforderungen der Praxis passt. Bewährt haben sich z. B. der taktische Grundsatz «Löschen um zu retten» und der Zweiseitenangriff. Für den setzt die Schadenwehr Gotthard von beiden Portalseiten her je ein Sonderlöschfahrzeug und ein Unterstützungsfahrzeug mit einer Besatzung von je zwei Feuerwehrangehörigen ein.
Der grösste Fortschritt, resümiert Beat Walther, bestehe wohl darin, «dass wir heute genau wissen, wie wir vorgehen wollen, und deshalb auch gezielt und sehr schnell vorgehen können». Trotzdem decke die Ausbildung nicht alles ab. «Jeder Einsatz ist anders und immer wieder gibt es neue Überraschungen», so Beat Walther, «zum Beispiel, wenn du die Türe eines brennendes Fahrzeugs öffnen willst und plötzlich den abgeschmolzenen Türgriff in der Hand hast.» Viel Erfahrung und Können verlangen jedoch nicht nur die Fahrzeugbrände. Im Gegenverkehr des Gotthard-Strassentunnels kommt es immer wieder zu folgenschweren Frontalkollisionen, die stundenlange und seelisch stark belastende Einsätze erfordern.
Nicht jede technische Innovation hat sich bewährt
Auch technisch entwickelt sich die Schadenwehr Gotthard ständig weiter, wobei sich nicht alles auch in der Praxis bewährt hat. So wurde nach dem Brandereignis im Oktober 2001 ein mobiler Grossventilator auf einem Piaggio-Fahrgestell entwickelt, der auch durch den wesentlich schmaleren Sicherheitsstollen fahren kann. Beat Walther: «Technisch hat das funktioniert, lüftungstaktisch war es jedoch ungeeignet.»
Zu den grössten technischen Attraktionen zählen die beiden Löschfahrzeuge mit einem nach unten ausfahrbaren hydraulischen Stempel in der Fahrzeugmitte, um den das Fahrzeug im Tunnel gedreht werden kann. Die Idee war, das Einsatzfahrzeug bei Bedarf im engen Tunnel sicher wenden zu können. Kam diese Technik je zum Einsatz, fragten wir Beat Walther, der schmunzelnd antwortet: «Ja, zur Vorführung bei unseren Besuchergruppen.» Im Ernstfall sei die Wendetechnik nie genutzt worden, weil, zumal unter Einsatzbedingungen, zu kompliziert und zu zeitaufwändig.
Als wirklich hilfreich erweisen sich hingegen viele technische Details, mit denen die geringe Zahl von Einsatzkräften der Ersteinsatzphase zumindest teilweise kompensiert werden kann. Zum Beispiel ein Schnellangriff unter der Frontschürze des Löschfahrzeugs, dank der der Löschangriff ab Front und damit schneller als ab Heck eingeleitet werden kann. Oder eine auf dem Dach verlegte 280 m lange Transportleitung, die von einer Einsatzkraft heruntergeholt und fahrend verlegt werden kann.
In die Sitze integrierte Atemschutzgeräte
Zu den mittlerweile charakteristischen Eigenschaften von Tunnel-Löschfahrzeugen zählen die in den Maschinisten- und in den Beifahrersitz integrierten Atemschutzgeräte. Sie geben der Fahrzeugbesatzung maximal möglichen Schutz beim Einfahren in verrauchte Bereiche und beschleunigen die Einsatzabläufe. Nach früheren Versuchen mit Regenerationsgeräten setzt die Schadenwehr Gotthard heute standardmässig Pressluftatmer mit zwei Flaschen ein.
In Zukunft zwei Röhren
Für die Zukunft sieht Beat Walther die Schadenwehr Gotthard durch den Bau der zweiten Röhre vor immense Herausforderungen gestellt. Zwar werde diese nach ihrer Fertigstellung deutlich mehr Sicherheit bringen: Weil der Tunnel nicht mehr im Gegenkehr betrieben werden muss, wird das Risiko von Frontalkollisionen praktisch eliminiert. Bis dahin aber kämen zunächst der Bau der neuen und die Sanierung der alten Röhre. Hier wird die Schadenwehr Gotthard den Schutz der Bauarbeiter leisten und «wir werden uns immer wieder auf neue, veränderte und provisorische Verkehrsführungen einstellen müssen. Aber dafür sind wir ja da!»