Gruppenbild der Teilnehmer des 8. Kommandanten-Forums vor dem Brandenburger Tor in Berlin

8. Kommandanten-Forum: Aus Forschung und Einsätzen neues Wissen über Tunneleinsätze gewinnen

Das 8. Kommandanten-Forum legte einen Schwerpunkt auf Einsatzberichte und deckte dabei ein breites Spektrum ab: zwei Lastwagenbrände in Strassentunneln, ein U-Bahn-Brand sowie zwei Zugbrände auf offener Strecke bzw. in einer Ortschaft. Social Media und mobile Grossventilatoren im Einsatz waren zwei weitere Themen aus der Praxis. Beim Blick über die Feuerwehrwelt hinaus ging es um das Verhalten von Betroffenen bei einer Evakuierung sowie um besondere Aspekte der Tunnelsicherheit.

Einsätze als Prüfstein und Grundlage für Entwicklung


«Für die Feuerwehren haben Einsätze eine ähnliche Funktion wie Experimente für die Wissenschaft.» Mit dieser Analogie eröffnete Urs Kummer, Geschäftsführer der International Fire Academy, das Fachprogramm des Kommandanten-Forums in Berlin. Einsätze, so seine Erläuterung, können ähnlich wie Experimente dazu genutzt werden, Annahmen zu prüfen und neue Muster zu erkennen.

Voraussetzung dafür, neue Erkenntnisse für Einsätze in unterirdischen Verkehrsanlagen zu gewinnen, sei eine kritische Reflexion von Ereignissen, wobei Probleme und unerwartete Schwierigkeiten offen angesprochen werden. Das Kommandanten-Forum bietet hierzu einen geschützten Raum; nur so kann es zur (Weiter-)Entwicklung taktischer Grundsätze und praxistauglicher Einsatztechniken beitragen. Die Veranstaltung in Berlin lieferte dafür mehrere Anhaltspunkte, von denen eine Auswahl im Folgenden vorgestellt wird.

Vom Standardeinsatz zum Grossbrand in Minuten


Feuerwehrinspekteur a. D. Werner Böcking, Feuerwehr und Katastrophenschutz Landkreis Neuwied (D), berichtete über den Brand eines ICE am 12. Oktober 2018 auf der Schnellfahrstrecke Köln/Rhein-Main sowie über den Brand mehrerer Güterwagen am 6. Februar 2019 in Unkel am Mittelrhein (D). Beide Einsätze bestätigten mehrere Annahmen, etwa: Bei Bahnereignissen muss mit einem schwierigen Zugang zum Zug gerechnet werden – selbst innerorts (Lärmschutzwand). Es werden viele Einsatzkräfte benötigt – beim ICE-Brand waren es 210 Feuerwehrangehörige (AdF) und 66 Rettungskräfte, beim Güterwagenbrand 160 AdF. Mit dem Löschangriff kann aufgrund der zunächst erforderlichen Erdung durch einen Notfallmanager erst deutlich nach Eintreffen der Feuerwehren begonnen werden.

Der Brand der Güterwagen in Unkel bei Bonn entwickelte sich innerhalb weniger Minuten von einem Standardeinsatz zu einem Grossbrand mit einer hohen Wärmebelastung für die Einsatzkräfte. Sechs der 14 Wagen waren mit insgesamt 52 Tonnen Haar- und Körperpflegemitteln auf 143 Paletten beladen – darunter viele Spraydosen, die zum Teil explodierten. Es zeigte sich, dass nicht jede Menge von gefährlichen Gütern als Gefahrguttransport gekennzeichnet sein muss – was im Einsatz für Überraschungen kann.

Technik kann die geplante Wirkung verfehlen


Werner Stampfli, Leiter Feuerwehr-Inspektorat beider Kantone Basel-Landschaft und Basel-Stadt (CH), und Jan Bauke, Ausbildungschef der Feuerwehr Zürich (CH), berichteten jeweils von einem LKW-Brand. Im Vergleich bestätigte sich die Bedeutung des Zweiseiten-Angriffs: Im Belchentunnel südöstlich von Basel funktionierte er «perfekt» mit der gewünschten Wirkung; beim Einsatz im Aeschertunnel (Teil der Westumfahrung von Zürich) kam es zu einer erschwerte Situation, weil die zweite Feuerwehr nur verzögert alarmiert wurde und der Zweiseiten-Angriff nicht wie geplant ausgeführt werden konnte.

Der Annahme, dass sich in einem ventilierten Tunnel immer eine Anström- und eine Abströmseite bilden, widersprach die Erfahrung beim LKW-Brand im Aeschertunnel: Dort trafen die Einsatzkräfte aufgrund einer defekten Brandabsperrklappe auf zwei Abströmseiten. Jan Bauke leitete daraus die Empfehlung ab, mit dem «Aussteigen» von Tunneltechnik zu rechnen und auch Worst-Case-Situationen mit «Null-Sicht» und grosser thermischer Belastung zu trainieren.

Als weiteres Problem erwies sich bei beiden Ereignissen das Verhalten von Tunnelnutzern: Die auf Rot geschalteten Ampeln an der Einfahrt zum Aeschertunnel wurden von vielen Autofahrern ignoriert, was zu einem Verkehrschaos führte. Im Belchentunnel war zu beobachten, dass sich Personen im Tunnel trotz der Gefahr durch den LKW-Brand nicht umgehend in Sicherheit brachten. Daher wurde der Appell für alle Tunnelnutzer formuliert: «Beim Brand im Tunnel raus aus dem Tunnel! – Bei Rot vor dem Tunnel nicht rein in den Tunnel!»

Menschen verhalten sich bei einer Evakuierung oft anders als vermutet


Gesine Hofinger vom Team HF – Human Factors Forschung, Beratung, Training in Ludwigsburg (D), ergänzte die Erfahrungen aus den Einsatzberichten und stellte Annahmen über das Verhalten von Betroffenen bei einer Evakuierung den Erkenntnissen aus den Forschungsarbeiten ihres Teams gegenüber. Sie bestätigte, dass Menschen häufig verzögert auf einen Alarm reagieren und erläuterte, warum sie trotz der Gefahr durch Rauch flüchten. Eine Massenpanik bei einer Evakuierung sei relativ unwahrscheinlich, sofern nicht zusätzliche Hindernisse gegeben sind.

Um dem Sicherheitsbedürfnis von Betroffenen bei einer Evakuierung zu entsprechen, riet Gesine Hofinger Feuerwehrangehörigen, Informationen und klare Handlungsanweisungen zu geben sowie wahrnehmbar zu führen und so Vertrauen zu schaffen. Insgesamt solle die Kommunikation ein Gefühl von Sicherheit vermitteln.

Die Hintergründe zu ihren Empfehlungen sowie weitere Erkenntnisse aus der Forschung des Teams HF werden in Kürze in einem separaten Magazinbeitrag erläutert.

Rückblick auf den Brand im U-Bahnhof Deutsche Oper


Dominik Pretz, Hauptbrandmeister, Berliner Feuerwehr (D), gehörte zu den ersten Einsatzkräften, die am 8. Juli 2000 in den U-Bahnhof Deutsche Oper in Berlin vordrangen. Zu diesem Zeitpunkt gab es bereits eine starke Rauchentwicklung aus allen Zugängen zum Bahnhof, so dass die Evakuierung von mehreren 100 Personen nicht mehr über die vorgesehenen Wege möglich war. Dominik Pretz bestätigte die Ausführungen von Gesine Hofinger, dass es bei dem Brand des U-Bahnwagens nicht zu einer Panik kam, sondern die Menschen ruhig und ansprechbar waren. Sie folgten den Anweisungen der Feuerwehrleute.

Bei der Evakuierung hätte es zu kritischen Situationen kommen können, etwa wenn jemand auf die unter Hochspannung stehende Stromschiene neben den Gleisen getreten wäre. Deshalb mussten die Feuerwehrmänner nicht nur führen, sondern auch darauf achten, dass niemand einen Fehler machte. Der Bericht lieferte einen lebendigen Eindruck davon, wie viele Entscheidungen die ersten Einsatzkräfte im U-Bahnhof innerhalb kurzer Zeit treffen mussten und wie sie sich dabei fühlten.

Ereignisse akustisch schneller wahrnehmen


Neben dem Faktor Mensch lag ein weiterer Schwerpunkt des Kommandanten-Forums auf der Unterstützung durch Technik bei Einsätzen in unterirdischen Verkehrsanlagen. Franz Graf, Forschungsgruppenleiter, Joanneum Research Forschungsgesellschaft (A), stellte das akustische Tunnelmonitoring System AKUT vor. Diesem System liegt die Annahme zugrunde, dass Ereignisse in einem Strassentunnel anhand von «abnormalen» Geräuschen frühzeitig erkennbar sind. Dazu gehören etwa Hupen, das Quietschen von Reifen, das Zuschlagen von Autotüren, Reifenplatzer, Kollisionsgeräusche und menschliche Stimmen. Studien zeigen, dass AKUT diese in Echtzeit detektieren kann. Durch die Kopplung mit der Videoüberwachung stehen den Mitarbeitern der Betriebszentrale in weniger als einer Sekunde die zugehörigen Bilder zur Verfügung stellen kann.

Eine Langzeitanalyse über acht Monate wurde in 37 Kilometern Tunnel mit 400 Mikrofonen durchgeführt. In diesem Zeitraum ereigneten sich 19 relevante Ereignisse, die, so Franz Graf, alle von AKUT detektiert wurden – und zwar schneller als durch alle anderen Sicherheitssysteme. Zwei Ereignisse wurden ausschliesslich von AKUT angezeigt. Der Zeitgewinn für eine schnelle Reaktion reichte von Sekunden bis zu mehreren Minuten.

In Österreich wurden bisher 30 Tunnel mit einem akustischen Monitoring ausgestattet, 26 weitere sind beauftragt. Auch zu diesem Thema folgt demnächst ein ausführlicher Magazinbeitrag.

Dezentrale Social Media-Analyse für die Stabsarbeit


Monitoring war auch das Thema von Markus Medinger, Fachgebietsleiter, Virtual Operations Support Team Baden-Württemberg (VOSTbw) (D). Für die Beobachtung von Social Media-Einträgen bei Grossereignissen vertrat er die These: «Nur Menschen können Inhalte wirklich auswerten und deren Relevanz feststellen». Hierzu seien Erfahrungen im Umgang mit den vielen Kanälen sozialer Medien sowie mit Auswertungstools erforderlich.

Das VOSTbw ist eine Gruppe von Social Media-Kennern. Ihr gehören neben Feuerwehrangehörigen auch Mitglieder der Rettungsdienste inklusive Suchdienste, des THW und des DLRG an. Das Team arbeitet dezentral und liefert Informationen für die Stabsarbeit zur Lage und für die Medienbeobachtung. Feuerwehren können die Unterstützung bei Grossereignissen anfordern.

Ein Einsatzbeispiel, das die Möglichkeiten der ortsunabhängigen Unterstützung besonders deutlich machte, war das Hochwasser an der Ahr im vergangenen Jahr. Das Ausmass dieses Monitorings wird an folgenden Zahlen ablesbar: Im Schichtdienst waren 25 Einsatzkräfte über sieben Wochen 2'277 Stunden im Einsatz und lieferten 34 Berichte.

Das Potenzial mobiler Grossventilatoren ausschöpfen


Bernhard Achermann, ehem. Kommandant der Stützpunkt- Feuerwehr Stans (CH), lenkte den Blick darauf, wie Feuerwehren das Potenzial von Grosslüftern im Einsatz stärker nutzen können. Dabei unterschied er zwischen offensiver Lüftung, bei der der Luftstrom genutzt wird, um die Sichtverhältnisse für Einsatzkräfte zu stabilisieren oder zu verbessern, und defensiver Lüftung, um die Ausbreitung von Rauch und heissen Brandgasen zu verhindern.

Achermanns Erfahrung: Mobile Grossventilatoren (MGV) können bei unterschiedlichsten Ereignissen wirkungsvoll eingesetzt werden. Als Beispiele nannte er u. a. die Unterstützung des Rauchabzugs bei Löscharbeiten im Tunnel, die Entrauchung bei Bränden der technischen Tunnel-Infrastruktur oder eines Querschlag sowie die Be- und Entlüftung bei Bränden in Tiefgaragen. Aber auch zum Schutz von Nachbargebäuden bei Bränden, bei Ereignissen in Hallen sowie bei Chemieunfällen, etwa für das Niederschlagen von Gasen und Dämpfen, sieht Achermann ein grosses Potenzial.

Bernhard Ackermanns These, die er als Appell formulierte, lautet: «Es müssen zwingend Einsatzpläne erstellt werden, um das Potenzial eines MGV im Einsatz zu realisieren». Sie wird unterstützt von seiner zweiten These: «Üben = Beherrschen».

Das System Verkehr sicherer gestalten


Christoph Schneider, Fachverantwortlicher Tunnelsicherheit beim Bundesamt für Verkehr (CH), brachte seine These zu Bahnereignissen mit einem Satz auf den Punkt: «Es passiert sehr wenig, aber es passiert etwas.» Diese Aussage über den Bahnverkehr in der Schweiz unterstrich er mit statistischen Daten. Bei Brandereignissen in Bahntunneln zwischen 2009 und 2021 gab es Sachschäden von rund 300‘000 CHF. Acht Fahrzeugbrände und vier Brände der Infrastruktur im Untersuchungszeitraum bedeuten durchschnittlich ein Brandereignis in Bahntunneln pro Jahr.

Um das «Gesamtsystem Verkehr» sicher zu gestalten, empfahl Christoph Schneider eine frühzeitige Zusammenarbeit «auf allen Stufen wenn immer möglich vor dem Bewilligungsverfahren», damit die unterschiedlichsten Perspektiven einfliessen. Mit dieser Aussage bestätigte er eine Empfehlung der International Fire Academy, Feuerwehren frühzeitig in Tunnelprojekte einzubeziehen. Zu seinen Erwartungen an die Feuerwehren zählte Schneider neben Ausbildung, Ortskenntnis und Üben am Objekt auch der Erfahrungsaustausch. Dazu will das Kommandanten-Forum weiterhin beitragen – künftig nach Möglichkeit wieder im jährlichen Turnus.